Samstag, 7. April 2012

Provence: von Nizza nach Orange


Reisetagebuch / Sommer 2004
(mit Nachträgen von 2005, 2012 und 2013 und dem Track in der Dropbox)

Provence:
von Nizza nach Orange

Eine Reise per Pedale und Pedes in der Provence



Frankreich ist mit seinem gut ausgebauten Straßensystem ein ideales Reiseradlerrevier. Einfach die Nebenstraßen (D-Straßen) auswählen, große Städte vermeiden, eine gute Karte dazu und los!
So habe ich schon große Teile Frankreichs bereist. Im Sommer auch ideal mit Zelt zu bereisen, weil das Netz der kommunalen, preiswerten Zeltplätze sehr dicht ist.
Nur an den Küsten wird es im Sommer voll und teuer.

1. Tag: Nizza
Mein DBA-Flieger aus Hamburg landet um die Mittagszeit. Das Fahrrad – kaum verpackt – kommt heil auf dem Gepäckband an. Ich packe auf und begrüße die gleißende Sonne am Flughafen direkt am Meer. Schon der wolkenlose Flug über die Alpen und die oberitalienische Tiefebene und der Anflug über das Meer auf Nizza ließ Freude in mir aufsteigen. Im Internet hatte ich für eine Nacht ein Hotelzimmer gebucht, das ich jetzt nach der Ankunft aufsuche.
Danach habe ich Zeit, die Stadt, die Promenade und das Mittelmeer zu genießen. Hier herrscht ein buntes Leben und Treiben.  Ein Ort, wo man gut und gern noch ein oder zwei weitere Nächte verbringen könnte.

Vorher war ich noch an der Endstation der provencalischen Eisenbahn. Dies ist eine Schmalspurbahn, die sich – mehr Straßenbahn als Eisenbahn –in immer engeren Windungen durch Flussschluchten und Tunnels die Berge hoch hangelt. Die Franzosen nennen sie „Pinienexpress“. Diese Bahn soll mich morgen die Berge hinauffahren bis nach Digne-les-Bains. Über das Kapitel Fahrradtransport und Bahn kann sicher jeder Reiseradler Romane schreiben. Hier wäre ein weiteres Kapitel fällig gewesen (siehe Nachtrag 2005).


Kurz und gut: am nächsten Morgen kann ich eine Fahrradkarte erwerben und werde auch mitgenommen. Aber nur, weil ich einen Internetausdruck der Beförderungsbedingungen der provencalischen Eisenbahn dabei habe!

2. Tag: Nizza – Digne-les-Bain (per Bahn)

Dieser Tag ist noch keine „Kunst“; lass ich mich doch fahren vom Pinienexpress.



Das dauert mit diesem langsamen Zug immerhin 4 Stunden und 30 Minuten. Dafür bin dann auch gleich mitten drin in der Provence - in einer französischen Kleinstadt - ohne Ströme von Schweiß zu vergießen.
Der kommunale Zeltplatz ist vor den Toren der Stadt. Für mich ist es ein Fest, nach langer Zeit einmal wieder in das französische Leben eintauchen zu können: auf dem Boulevard mit seinen Bar-Cafés einen Grand Crème trinken zu können, dazu ein Croissant aux amandes plus einer regionalen Zeitung, später dann natürlich einen Pastis, und abends dann das französische Dreigangmenü mit lokalem Wein: VIVE LA FRANCE!

3. Tag: Digne-les-Bains

Dieser Tag ist der Landschaft gewidmet. Der lokale Fahrradhändler bekommt mein Rad, um die Schaltung nachzustellen, die beim Flugzeugtransport offensichtlich doch etwas gelitten hat. Ich selbst mache mich zu Fuß auf in die Berge.
Frankreich ist durchzogen von einem Netz sehr gut markierter Wanderwege, auf denen kaum ein Franzose wandert. So kann ich in die Welt der Stille eintauchen, die hier oben auf den Bergen herrscht. Man könnte hier eine ganze Woche wandernd verbringen.
Abends wiederhole ich das Programm von gestern: Trinken und Essen und glücklich in den Schlafsack!

4. Tag: Digne – Manosque (60km)

Jetzt – Anfang September – ist es noch sehr heiß in Südfrankreich; es hat lange nicht geregnet, sodass es Zugangsbeschränkungen zu den Wäldern gibt wegen der außerordentlich hohen Waldbrandgefahr.
Wegen der Hitze heißt es früh aufstehen und losfahren. Da ich ohne Kochgeschirr reise, um Gewicht zu sparen, führt mein Weg natürlich erst einmal zum Bäcker und dann in die Café-Bar für den „Grand Crème“, danach dann erst über eine kleine Steigung nach Chateauredon in das Tal der Asse.
Von hier geht es dann gemütlich und verkehrsarm auf Nebenstraßen bis zur Mündung der Asse in die Durance. Sportliche Reiseradler können auf dieser Strecke einen 2-Tage-Umweg machen, um den Gorge du Verdon zu besuchen. Ich aber habe mich dieses Jahr für eine gemütliche Tour entschieden und fahre auf mein Ziel Manosque zu. Kurz vor der Einmündung der D4 in die D6 taucht mitten im Nirgendwo ein Zeltplatz mit Schwimmbad auf: zu verlockend bei diesem heißen Wetter! Obwohl es nur ein minimales Verpflegungsangebot in der Campingbar gibt, überzeugt mich das Schwimmbad. ("Camping Oxygène" mit einem picobello Waschhaus!)). Unter einem Maulbeerbaum mit seinem Schatten kann ich dann nach dem Schwimmen den Rest des Tages gut verbringen. Zur Dämmerung hin hilft die Bar mit Würstchen, Frites und Roséwein.

5. Tag: Manosque

An diesem Tag, einem Samstag, ist nur die Besichtigung von Manosque auf meinem Plan (4km entfernt).  Samstag ist Markttag. Die ganze Altstadt ist vollgestopft mit Marktständen und auf den unzähligen kleinen Plätzen dazwischen warten die Restaurants auf Gäste.
Zuerst kaufe ich mein Abendbrot ein, wobei der Käsehändler nicht recht verstehen kann, warum ich nur so kleine Portionen der jeweiligen Käsesorten nehme. Dazu reife Cavaillon Melonen.  Dann nehme ich Platz in einem arabischen Restaurant, das gut zu der Atmosphäre dieses Ortes passt. Mit Essen und Schauen kann man gut einige Zeit verbringen: das ist Genuss pur!


Am Nachmittag – in der prallen Hitze  - fahre ich zurück zum Pool. Und abends wieder Roséwein, dazu die Käse der Region und die süßen Melonen.

6. Tag: Manosque – Apt (60km)

An diesem Tag ist die Überquerung des Luberon vorgesehen, die erste Herausforderung der Genussreise. Wieder heißt es früh starten wegen der Hitze. Die erste halbe Stunde aufwärts fahren ist immer die schwerste, danach gewöhnt man sich daran. Irgendwann ist man oben – überholt von den Rennradsportlern, die an diesem Sonntag ihre Trainingsausfahrten machen. Es geht vorbei an abgebrannten Waldstücken, die einem zeigen, dass die Waldbrandgefahr ganz real ist.
In dem Tal zwischen den Ausläufern des Plateau de Vaucluse und dem Luberon verläuft die N 100. Eine Nationalstraße ist normalerweise unangenehm für Radfahrer. Diese hier aber ist an diesem Sonntag wenig befahren. Ich fahre nach Westen und zweige hinter Cereste auf landwirtschaftliche Nebenstraßen ab. Hier verläuft auch die Tour de Luberon, ein gut beschilderter Radrundweg um den Luberon, der in Cavaillon los geht und auch wieder landet.
Später – auf der D48 – quäle ich mich in der brütenden Mittagshitze hoch, um die Verbindungssstraße nach Saignon zu bekommen.
Letzteres liegt pittoresk über dem Tal mit dem Hauptort Apt und hat einige Felsspitzen, die man von der Ortsmitte aus zu Fuß erklimmen kann.
Nur ungern verlasse ich nach der Ortsbesichtigung die mühsam gewonnene Höhe, um auf halber Strecke zum Tal hinunter dem Campingplatz zu erreichen, der wieder – hurra! – einen Pool hat.
Der Platz schraubt sich in Terrassen den Hang hinauf.  Auf einer der oberen Terrassen residiere ich dann ganz allein mit meinem Zelt.



An jedem dritten Baum hängt ein Feuerlöscher – wohl aus gutem Grund. Schwimmen kann man auf dem Zeltplatz und auch trinken, aber zum Essen...











muss ich ganz hinunterfahren in den Ort Apt. Kein Problem.....nur hinterher mit gefülltem Magen wieder aufwärts.... Aber langsam gewinne ich wieder Kondition. Das ist das Schöne bei einer Radreise – selbst wenn sie dem Genuss gewidmet ist: die Kondition nimmt trotzdem langsam zu!
Am Abend, in der Dämmerung, tauchen seltsame Wolken auf, der Wind frischt auf: es kündigt sich eine Wetteränderung an. Meine Familienmeteorologen bestätigen mir dies per SMS.

7. Tag: Apt

Nachts hat es geregnet, der Morgen ist wolkenverhangen, die Straße ist nass und – was schlimmer ist: der Luberon ist in den Wolken. Damit kann ich meine geplante Kammwanderung abschreiben. Also treibe ich mich im Ort herum und kann nachmittags, als es ein wenig aufklart, auf den Pfaden eines Weitwanderweges (GR 92) noch einmal nach Saignon hoch wandern. Meine Erfahrungen mit den GRs, den Weitwanderwegen, sind ausnehmend gut. Stets sind sie hervorragend ausgesucht und folgen alten Fußwegen und Trampelpfaden abseits der Straßen.

8. Tag : Apt – Venasque (34km)

Das Ziel meiner nächsten Etappe heißt Venasque. Dazu muss ich einen Ausläufer des Plateau de Vaucluse überqueren. Der Himmel ist immer noch bewölkt und man weiß nicht, was aus dem Wetter werden soll. Die Steigung fällt mir nicht so schwer wie am Sonntag zuvor, weil es nicht so heiß ist und ich schon ein wenig Kondition gewonnen habe.
Auf halber Höhe im Ort Murs mache ich eine Regenpause, um einen Schauer abzuwarten. Nach dem obligatorischen großen Milchkaffee, dem Grand Creme, rät mir der Wirt, lieber gleich loszufahren, weil Nachmittags schwere Gewitter losgehen sollen. Ich folge seinem Rat und ...bin verraten. Auf Passhöhe, mitten in der Pampa, fängt es an zu schütten und die Regenhose ist in den Tiefen des Gepäcks. Ich hatte es nicht für nötig gehalten, sie parat zu haben. Es schüttet und kein Unterstand weit und breit! So beschließe ich abzufahren in der vagen Hoffnung, dass es gleich wieder aufhört. Aber so kommt es nicht; es wird immer schlimmer und artet in ein Gewitter aus. Es sei hier deutlich gesagt: das sollte man nicht tun, bei strömenden Regen und Gewitter die Abfahrt wagen. Das ist zu gefährlich!
Okay, es war nicht auf freiem Feld, sondern in einer Schlucht, aber es ist trotzdem ein unnötiges Risiko. Mit klammen Händen von Regen und dem Dauerbremsen komme ich nach 13km durchnässt unten an. Noch 3km und dann bin ich in Venasque. Entnervt mache ich Quartier im erstbesten Hotel in der Ortsmitte. Die Kleidung wird zum Trocknen aufgehängt und ich mache mit Ersatzkleidung einen Erkundungsgang: „Quelle Surprise!“ Ich bin in einem zauberhaften Ort auf einem Felsensporn gelandet, wo sich die Häuser eng aneinander schmiegen.

Auf der einen Seite dieses Felsensporns kann man das Mittelmeer erahnen, auf der anderen Seite erstrecken sich wie in einem Amphitheater die Berge mit dem Mont Ventoux in der Mitte.


Abends im hoteleigenen Restaurant, beim Käsegang mit 10 verschiedenen Sorten Ziegenkäse, preise ich den glücklichen Ausgang dieses Tages.

9. und 10. Tag: Venasque

Das schlechte Wetter hält mich dann noch zwei weitere Tage fest an diesem Ort. Kleine Wanderungen am Nachmittag sind möglich, befriedigen aber nicht den Hunger auf Mehr in dieser verheißungsvollen Gegend....

11. Tag: Venasque – Orange (38km)

Da das Wetter mir einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, verzichte ich auf die Weiterfahrt nach Vaison-la-Romaine und fahre direkt nach Orange. In den letzten beiden Tagen stand die Gegend um Nîmes unter Wasser, der Zug- und Autobahnverkehr war unterbrochen. Und das nächste Tief ist schon im Anrollen!
So nutze ich das Zwischenhoch, um die Tour abzuschließen. Die Fahrt führt angenehm abwärts über Carpentras, wo ich auf dem Markt noch Mitbringsel erstehe.
Die Nacht verbringe ich im Hotel in Orange und dann geht es am nächsten Morgen mit der Bahn zurück nach Deutschland.

Nachtrag 2005:

Das Fahrrad und die Bahn: 
ein neues Kapitel

Ich hatte mich ja zuhause um die Beförderungsbedingungen der provencalischen Eisenbahn gekümmert ( nicht im Staatskonzern SNCF) und Gott sei Dank einen Ausdruck selbiger mitgenommen. Dort stand, dass nur der Morgenzug um 6 Uhr  Fahrräder mitnehmen würde. Deswegen stand ich ja schon am Tag vorher am Bahnhof, um eine Fahrkarte zu erwerben. Dort beschied man mir dann, dass eine Fahrradmitnahme nicht möglich sei! Da kam dann mein Ausdruck zu Zuge....
Völlig ratlos war der Fahrkartenverkäufer nun (später verstand ich, dass er nicht wusste, wie er ein Fahrrad berechnen sollte und wie er den Fahrschein drucken sollte! Fahrradmitnahme war hier offensichtlich so selten wie ein Marsmensch). Er ging also nach hinten und beratschlagte sich. Vielleicht telefonierte er auch.
Schließlich wurde ich auf den nächsten Tag bestellt – zum 9-Uhr-Zug. Ich war dann rechtzeitig da, weitere Schwierigkeiten fürchtend. Diesmal war wohl der Stationschef da – jedenfalls wurden mir die zwei Fahrkarten verkauft. Das Fahrrad wurde in ein Kabuff hinter dem Führerstand der Lok gesteckt, wo es eigentlich nur senkrecht hinein passte. Ob der 6-Uhr-Zug mehr Platz hatte? (wahrscheinlich ist, dass der Stationschef um die frühe Uhrzeit noch keinen Dienst hatte....)
So kam ich zu dieser wunderschönen Fahrt durch die Berge. In Digne angekommen, holte ich mein Fahrrad an der Lok ab und hörte in meinem Rücken ein vielstimmiges, verheißungsvolles Klappern: auf dem Bahnhof im alten Bahnhofsgebäude und davor war jetzt ein Restaurant mit einem preiswerten Mittagtisch und alle Franzosen aßen. Das wollte ich dann auch. Wunderbar! So echt französisch!

2005 wollte ich  dann die Tour verändert wiederholen und auch die ins "Wasser gefallenen" Teile anschließen. Und beginnen wollte ich wieder mit dieser traumhaften Zugfahrt. Ich buchte frühzeitig einen Flug und wollte kurz vor Beginn der Reise wieder – wir sind ja gewitzt – die Beförderungsbedingungen ausdrucken.
Aber oh Schreck! Die Beförderungsbedingungen waren geändert!  Die Fahrradmitnahme war jetzt ausgeschlossen! War das meine Schuld? Hatte ich letztes Jahr zu viel Wind gemacht? Mist!!!
Ich musste also umdisponieren und guckte nach Regionalbahnverbindungen. Ich wählte eine nach Cavaillon mit Umsteigen in Marseille. Zuvor musste ich von der unübersichtlichen Website der SNCF lernen, dass ein Intercité (2005!!) so etwas wie ein deutscher Interregio ist und ohne Reservierung Fahrräder mitnimmt.
So nahm dann meine Reise 2005 in Cavaillon ihren Anfang.
(Vorsicht: 2012 sind die Zugklassen verändert worden!! Siehe auch: Bretagne, die Vorbereitung).

Nachtrag 2012:
Praktische Hinweise
Die deutsche BA ist inzwischen von Airberlin geschluckt worden. Leider bietet Airberlin keinen Direktflug  mehr von Hamburg nach Nizza; von Flügen inklusive Fahrradtransport mit Umsteigen rate ich ab.
Jede Fluglinie hat andere Bestimmungen und Gebühren zur Fahrradmitnahme(Sportgepäck). Vorher die Beförderungsbedingungen lesen.
Darüber hinaus haben die meisten Fluglinien beim Gepäck auf das One-Piece-Concept umgestellt: das heißt, das an regulärem Reisegepäck nur ein Stück erlaubt ist. Da man ja auf dem Fahrrad meist 2-5 Einzeltaschen hat, braucht es dann noch eine große Nylontasche, wo alle Radtaschen hineinpassen, verschnürt werden und dann als ein einziges Gepäckstück auf die Reise gehen. Dazu muss man die Gewichtsgrenze beachten (neuerdings meist 23kg).

Jan 2013: gerade in der Werbung: ab April 2013 fliegt Germanwings direkt nach Nizza. 

Zu den schönen Reisemöglichkeiten mit der Bahn inklusive Fahrrad siehe die anderen Provencebeiträge auf dem Radreiseblog und den Beitrag „Bretagne: die Vorbereitung“.

Zeltplätze gibt es reichlich und preiswert. Ebenso kleine Landhotels. In der Hauptsaison ist es an der Küste voll und teuer und eventuell ausgebucht.

Badeshorts  sind an den Pools der Campingplätze verboten; man braucht einen slip de bain, also eine klassische Badehose.


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