Mittwoch, 29. Februar 2012

Auf Schleichpfaden durch Großbritannien


Reisebericht
Auf Schleichpfaden durch Großbritannien
Auf den Radwegen des britischen
National Cycle Network von Ost nach West.
Eine Reise von Harwich an der Nordsee nach Pembroke an der Irischen See



„Nachdem ich wieder angefangen habe mit dem Rennradsport, habe ich von120 kg auf 90kg abgenommen. Du hättest mich mal vorher sehen sollen“. Les steht mit einem seiner Carbonrenner verschwitzt vor mir, nachdem er sich den frühen Morgen auf dem sogenannten Ridgeway gequält hat. Jetzt – am Vormittag – ist er zurück, um den Rest des Tages mit seiner Frau Maggie auf dem Campingplatz in Tenby an der walisischen Küste  in Pembrokeshire zu genießen. Die beiden hatten mich gestern Nachmittag, als ich hier ankam, gleich als Nachbarn adoptiert und zum Tee eingeladen, noch bevor ich mein Zelt aufgebaut hatte. Dabei gehöre ich doch nicht der Rennerfraktion an, sondern bin eher den  Gepäcktransportern zuzurechnen.
Aber das war nun kein Hindernis; waren sie doch neugierig, was den bepackten Deutschen hier ins entfernte Wales getrieben hatte.
Und tatsächlich ist der so weit westlich liegende schöne Ferienort Tenby mit seinen Klippen und den feinen Sandstränden schon fast das Ende meiner Reise – einer Reise von der Nordsee zur Irischen See.
Der Eingang ins Inselreich war der Fährhafen Harwich. Denn dort kam meine Fähre aus dem dänischen Esbjerg an.


Ein Spinnennetz von landesweiten Radwegen


                                              Am River Stort in der Nähe von Harlow

Bei der Planung meiner Reise hatte ich kompetente Hilfe, nämlich das britische Fernradwegenetz National Cycle Network(NCN). Die hervorragende Ausschilderung der Wege sorgte für einen zweifelsfreien Verlauf.
Das Wegenetz wird betreut von der Non-Profit-Organisation Sustrans, was ein Kürzel für sustainable transport ist, auf deutsch etwa: nachhaltiger Personenverkehr.
Und dieses Wegenetz ist ein Eldorado für den Radtouristen! Bringt es doch den Radler auf verschlungenen Pfaden durch das Grün Englands ans Ziel seiner Wünsche. Da Sustrans die Wege nicht selber baut, sondern nur aussucht und beschildert,  müssen die Wegescouts nehmen, was vorhanden ist. Das heißt, dass die Wegequalität nicht immer vom Feinsten ist. Da gibt es schon mal nur einen schmalen Trampelpfad, oder einen matschigen Waldweg, der gerade noch zu befahren ist mit Gepäck.  Aber dafür fährt man durch schönste Landschaft und ist so gut es geht vom Autoverkehr befreit.
Zur Tourplanung ruft man nur die Webseite von sustrans auf (www.sustrans.org.uk) und geht ins Untermenü Karten. Und da ist es dann: dem Edelpilzkäse Stilton gleich ziehen sich violette und grüne Adern durch das Kartenantlitz Großbritanniens. Ein verzweigtes Spinnennetz von Radwegen, die sich zu erkennen geben, wenn man weiter in die Karte hereinzoomt.
Und damit konnte ich gleich mein erstes Problem lösen: wie vermeide ich den Moloch London?




Die Umfahrung Londons


Eine Großstadt zu durchfahren, die im Weg liegt, ist kein Vergnügen.
Und da fand ich auf erwähnter Karte die Nordwestpassage, eine Halbumrundung Londons. Von Harwich kommend führte mich diese Route von Harlow im Nordosten über St.Albans und Watford nach Maidenhead im Südwesten Londons(NCN Nr 6 und 61). Und das Schönste: diese Route ist weitgehend verkehrsfrei auf Treidelpfaden und alten, stillgelegten Eisenbahntrassen. Sie ist nicht nur praktisch, sondern auch schön!
Das ist das Großartige an Großbritannien: es gibt eine Unmenge von Relikten aus der Zeit der frühen Industrialisierung! Das sind erstens die vielen Eisenbahnlinien, die nicht mehr gebraucht werden und nach und nach zu Radwegen mutieren. Und da sind zweitens die vielen Kanäle, die jetzt für die Freizeitskipper wieder hergerichtet werden. Und wo ein Kanal ist, ist auch ein Treidelpfad.
Allerdings sind diese Relikte nicht überall fahrradgängig. Aber wenn man die blau gepunkteten Linien für geplante Routen auf der Sustranskarte sieht, glaubt man daran, dass hier ein (Radler-)Paradies im Aufbau ist. Diese Routen folgen nicht ausschließlich touristischen Highlights, sondern sind Verbindungsrouten quer durchs Land.








nördlich von London: Ebury Trail


Am Kennet-and-Avon-Canal durch England


Ich war jedenfalls trotz des etwas ungünstigen Wetters sehr froh gestimmt nach den beiden  gelungenen Auftakttagen, als ich in Maidenhead ankam. Ungefähr hier traf ich auf den NCN 4, der wunderbarerweise bis zur Fähre nach Irland in Pembroke Dock  führt.
Fairerweise muss ich auch erzählen, dass dann hinter Reading auch die ersten Widrigkeiten auftauchten: die Begegnung mit unpassierbaren Access Control Points (auf deutsch heißen sie meistens Umlaufsperren), die Teenies mit Motorrollern davon abhalten sollen, diese Wege widerrechtlich zu benutzen. In Reading war es besonders krass: hier musste ich nicht nur abpacken, sondern auch das Fahrrad hinüber heben. Was sich die Planer dabei gedacht haben, bleibt völlig unverständlich.
Die Strecke, die dann von Maidenhead  bis zur walisischen Grenze führte, war ebenso grandios wie die Teilumrundung Londons, weil sie dem Verlauf des Kennet-and-Avon-Canal folgte.  Noch grandioser wäre die Strecke allerdings, wenn der Treidelpfad auf der ganzen Strecke so ausgebaut wäre,  dass er durchgehend fahrradgängig wäre. So ist der Weg zur Hälfte auf einsamen Nebenstraßen geführt, immer wieder zickzackartig den Kanal überquerend.  In der Natur der Streckenführung liegt, dass man von großen, langen Steigungen verschont bleibt.
Die Highlights dieser Strecke sind die berühmte Schleusentreppe von Devizes, wo die Kanalboote  16 Schleusen hintereinander zu durchfahren haben, um in das höher bzw tiefer gelegene Terrain zu kommen. Und hinter Bradford on Avon dann liegt der Kanal halb am Berg und der Fluss liegt unten im Tal. Zweimal führt der Kanal und damit auch der Radweg auf einem Aquädukt über das Tal auf die andere Seite. Hinter Bath geht der Weg dann auf einer sehr gut ausgebauten Eisenbahntrasse direkt in das Zentrum von Bristol, fast hinein in den Hafen. Das ist sehr schön,  quasi ein grüner Korridor hinein ins Zentrum der schönen Stadt, gekrönt von einem richtigen Tunnel. In Bristol kann man dann bleiben und die Stadt besichtigen und die schöne Szenerie genießen. Das dann folgende Herausfahren auf Stadtstraßen ist eine andere Sache und hat so seine Beschwernisse.




der Kennet-and-Avon-Canal bei Newbury



Der Celtic Trail in Wales


Wenn man dann 3 Stunden hinter Bristol auf einer riesigen Brücke den Fluss Severn überquert hat, ist man schon in Wales. Hier  - und das muss man wissen – ändert sich das Terrain und es wird bergig. Ich hatte die südliche Variante des Celtic Trail (immer noch NCN 4) ausgewählt, weil sie küstennäher ist und daher noch ein paar flache Abschnitte bietet. Doch schon mein erster Tag mit Übernachtung in Caerphilly verlangte einiges an Schweiß.  Aber dann immer wieder schöne, überraschende Weitblicke von den Höhen. Die kahlen, runden grünen Bergkuppen haben eine eigenartige Wirkung auf den Betrachter: widersprüchliche Gefühle von Einsamkeit und Verbundenheit mit der Natur breiten sich aus. Und die vielen Zeugnisse der heroischen Vergangenheit wie sie die alten Burgruinen verkünden!
Hier, im grünen Wales, wechselt es zwischen kommoden Eisenbahntrassen, Parkwegen und gnadenlosen Bergnebenstraßen, die dem Radler nicht eine mildernde Serpentine gönnen.



auf den Bergen von Wales

Am dritten Tag in Wales zwischen Port Talbot über Swansea nach Kidwelly kommt die Erholungsphase: Abschnitte an Küstenbuchten mit wunderbar hergerichteten Wegen erfrischen Augen und Beine. Und die braucht man auch, denn die folgenden zwei Tage bringen wiederkehrende Anstiege von Meeresniveau auf Hügelniveau.

So war dann der freundliche Empfang auf dem Campingplatz gestern  durch Les und Maggie eine richtige Labsal und ermunterte mich,  heute endlich mal einen Ruhetag einzulegen. Ein Tag, den ich mit Baden, einer Bootsfahrt zur vorgelagerten Insel Caldey und gemütlichem Schlendern durch das Touristengewimmel in den kleinen Gassen von Tenby verbringe.
Abends dann, in der untergehenden Sonne, lädt mich Les noch zu dem einen oder anderen Bier vor seinem Zelt ein. So sind sie, die Engländer bzw die Waliser: man muss gar nicht viel tun, um in Kontakt zu kommen, einfach nur da sein.

Am nächsten Morgen nehme ich wie Les – allerdings voll beladen – ebenfalls den Ridgeway in Angriff. Okay, beim steilen Anstieg in Penally muss ich schieben, aber der Rest des Weges ist sehr schön und bietet eine wunderbare Aussicht auf die zerklüftete Küste von Pembrokshire.
Dann noch eine lange, sanfte Abfahrt nach Pembroke und  - schwupp -  bin ich an der Fähre nach Irland. 



Tenby in Pembrokeshire

Infos:
Anreise: von Hamburg mit der Bahn über Niebüll nach Esbjerg. Dort die Fähre (18 Uhr bis 12 Uhr am nächsten Tag) nach Harwich. Die Fähre hat jeden zweiten Tag eine Abfahrt.
Mit dem Fahrrad: auf dem National Cycle Network (Nr 51/1/ 61/ 4) nach Pembroke Dock, dort die Fähre nach Rosslare in Irland( eine Tagesabfahrt und eine Nachtabfahrt. Dauer 4 Stunden) Mit dem Fahrrad auf Landstraßen nach Kilkenny.
Rückfahrt: mit dem Bus nach Dublin. Von Dublin mit Air Lingus nach Hamburg zurück. Mehrere Direktflüge in der Woche, gute Flugzeit. Fahrrad vorher anmelden, aber erst am Flughafen die Gebühr bezahlen. Dann verpackt  aufgeben. In Dublin kann man sich in Fahrradgeschäften Pappverpackungen besorgen. Es gibt einen  Flughafenzubringerbus, der im Kofferraum Fahrräder mitnimmt. Oder man bestellt ein Taxi, das Fahrrad und Verpackung transportieren kann.
Streckenlänge: Die beschriebene Strecke ist 750km lang (in Irland kamen noch einmal 100km dazu).
Übernachtung: Zeltplätze sind außerhalb der Feriengebiete eher rar. Aber die meisten größeren Countrypubs bieten Bed&Breakfast an. Und fast jeder Pub hat auch einen Restaurantteil mit einer Abendkarte. Die Preise für die Übernachtung bewegen sich zwischen 30 und 50 engl. Pfund für eine Einzelperson. Die Essen sind eher preiswerter als in Deutschland.  Touristinformations helfen – wenn nötig -beim Suchen einer Unterkunft. Vorbuchung ist nicht nötig - es sei denn, man fährt in einer größeren Gruppe.


Über Sustrans

Nach meiner Reise habe ich Sustrans kontaktiert und mich beklagt, dass diese diversen Umlaufsperren auf einem Weitradwanderweg die Weitradwanderer vom Weitradwandern abhalten. Ich kann mir vorstellen,  dass James Burdon, der Information Officer bei Sustrans, dann nur laut aufstöhnte und die Augen verdrehte; aber er hat dann trotzdem sehr nett geantwortet. Natürlich kennen die das Problem („the age-old problem of barriers“), können aber nur immer wieder versuchen, die örtlichen Entscheidungsträger von sachgerechteren Lösungen zu überzeugen. Ich durfte dann Fotos schicken, die ich von besonders krassen Barrieren gemacht habe, die sie dann an die entsprechenden Sustrans Area Manager geschickt haben. 















 









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