Reisebericht
Auf
Schleichpfaden durch Großbritannien
Auf den
Radwegen des britischen
National Cycle
Network von Ost nach West.
Eine Reise von
Harwich an der Nordsee nach Pembroke an der Irischen See
„Nachdem ich wieder
angefangen habe mit dem Rennradsport, habe ich von120 kg auf
90kg abgenommen. Du hättest mich mal vorher sehen sollen“. Les steht mit einem
seiner Carbonrenner verschwitzt vor mir, nachdem er sich den frühen Morgen auf
dem sogenannten Ridgeway gequält hat. Jetzt – am Vormittag – ist er zurück, um
den Rest des Tages mit seiner Frau Maggie auf dem Campingplatz in Tenby an der
walisischen Küste in Pembrokeshire zu genießen. Die beiden hatten mich
gestern Nachmittag, als ich hier ankam, gleich als Nachbarn adoptiert und zum
Tee eingeladen, noch bevor ich mein Zelt aufgebaut hatte. Dabei gehöre ich doch
nicht der Rennerfraktion an, sondern bin eher den Gepäcktransportern
zuzurechnen.
Aber das war nun kein Hindernis; waren sie
doch neugierig, was den bepackten Deutschen hier ins entfernte Wales getrieben
hatte.
Und tatsächlich ist der so weit westlich
liegende schöne Ferienort Tenby mit seinen Klippen und den feinen Sandstränden
schon fast das Ende meiner Reise – einer Reise von der Nordsee zur Irischen
See.
Der Eingang ins Inselreich war der Fährhafen
Harwich. Denn dort kam meine Fähre aus dem dänischen Esbjerg an.
Ein Spinnennetz von landesweiten Radwegen
Bei der Planung meiner Reise hatte ich kompetente Hilfe, nämlich das britische Fernradwegenetz National Cycle Network(NCN). Die hervorragende Ausschilderung der Wege sorgte für einen zweifelsfreien Verlauf.
Das Wegenetz wird betreut von der
Non-Profit-Organisation Sustrans, was ein Kürzel für sustainable transport ist,
auf deutsch etwa: nachhaltiger Personenverkehr.
Und dieses Wegenetz ist ein Eldorado für den
Radtouristen! Bringt es doch den Radler auf verschlungenen Pfaden durch das Grün
Englands ans Ziel seiner Wünsche. Da Sustrans die Wege nicht selber baut,
sondern nur aussucht und beschildert, müssen die Wegescouts nehmen, was
vorhanden ist. Das heißt, dass die Wegequalität nicht immer vom Feinsten ist.
Da gibt es schon mal nur einen schmalen Trampelpfad, oder einen matschigen
Waldweg, der gerade noch zu befahren ist mit Gepäck. Aber dafür fährt man
durch schönste Landschaft und ist so gut es geht vom Autoverkehr befreit.
Zur Tourplanung ruft man nur die Webseite von
sustrans auf (www.sustrans.org.uk)
und geht ins Untermenü Karten. Und da ist es dann: dem Edelpilzkäse Stilton
gleich ziehen sich violette und grüne Adern durch das Kartenantlitz Großbritanniens.
Ein verzweigtes Spinnennetz von Radwegen, die sich zu erkennen geben, wenn man
weiter in die Karte hereinzoomt.
Und damit konnte ich gleich mein erstes
Problem lösen: wie vermeide ich den Moloch London?
Die Umfahrung Londons
Eine Großstadt zu
durchfahren, die im Weg liegt, ist kein Vergnügen.
Und da fand ich auf erwähnter Karte die
Nordwestpassage, eine Halbumrundung Londons. Von Harwich kommend führte mich
diese Route von Harlow im Nordosten über St.Albans und Watford nach Maidenhead
im Südwesten Londons(NCN Nr 6 und 61). Und das Schönste: diese Route ist
weitgehend verkehrsfrei auf Treidelpfaden und alten, stillgelegten
Eisenbahntrassen. Sie ist nicht nur praktisch, sondern auch schön!
Das ist das Großartige an Großbritannien: es
gibt eine Unmenge von Relikten aus der Zeit der frühen Industrialisierung! Das
sind erstens die vielen Eisenbahnlinien, die nicht mehr gebraucht werden und
nach und nach zu Radwegen mutieren. Und da sind zweitens die vielen Kanäle, die
jetzt für die Freizeitskipper wieder hergerichtet werden. Und wo ein Kanal ist,
ist auch ein Treidelpfad.
Allerdings sind diese Relikte nicht überall
fahrradgängig. Aber wenn man die blau gepunkteten Linien für geplante Routen
auf der Sustranskarte sieht, glaubt man daran, dass hier ein (Radler-)Paradies
im Aufbau ist. Diese Routen folgen nicht ausschließlich touristischen
Highlights, sondern sind Verbindungsrouten quer durchs Land.
Ich
war jedenfalls trotz des etwas ungünstigen Wetters sehr
froh gestimmt nach den beiden gelungenen Auftakttagen, als ich in
Maidenhead ankam. Ungefähr hier traf ich auf den NCN 4, der wunderbarerweise
bis zur Fähre nach Irland in Pembroke Dock führt.
Fairerweise muss ich auch erzählen, dass dann
hinter Reading auch die ersten Widrigkeiten auftauchten: die Begegnung mit
unpassierbaren Access Control Points (auf deutsch heißen sie meistens
Umlaufsperren), die Teenies mit Motorrollern davon abhalten sollen, diese Wege
widerrechtlich zu benutzen. In Reading war es besonders krass: hier musste ich
nicht nur abpacken, sondern auch das Fahrrad hinüber heben. Was sich die Planer
dabei gedacht haben, bleibt völlig unverständlich.
Die Strecke, die dann von Maidenhead
bis zur walisischen Grenze führte, war ebenso grandios wie die Teilumrundung
Londons, weil sie dem Verlauf des Kennet-and-Avon-Canal folgte. Noch
grandioser wäre die Strecke allerdings, wenn der Treidelpfad auf der ganzen
Strecke so ausgebaut wäre, dass er durchgehend fahrradgängig wäre. So ist
der Weg zur Hälfte auf einsamen Nebenstraßen geführt, immer wieder
zickzackartig den Kanal überquerend. In der Natur der Streckenführung
liegt, dass man von großen, langen Steigungen verschont bleibt.
Die Highlights dieser Strecke sind die berühmte
Schleusentreppe von Devizes, wo die Kanalboote 16 Schleusen
hintereinander zu durchfahren haben, um in das höher bzw tiefer gelegene
Terrain zu kommen. Und hinter Bradford on Avon dann liegt der Kanal halb am Berg
und der Fluss liegt unten im Tal. Zweimal führt der Kanal und damit auch der
Radweg auf einem Aquädukt über das Tal auf die andere Seite. Hinter Bath geht
der Weg dann auf einer sehr gut ausgebauten Eisenbahntrasse direkt in das
Zentrum von Bristol, fast hinein in den Hafen. Das ist sehr schön, quasi
ein grüner Korridor hinein ins Zentrum der schönen Stadt, gekrönt von einem
richtigen Tunnel. In Bristol kann man dann bleiben und die Stadt besichtigen
und die schöne Szenerie genießen. Das dann folgende Herausfahren auf Stadtstraßen
ist eine andere Sache und hat so seine Beschwernisse.
Wenn
man dann 3 Stunden hinter Bristol auf einer
riesigen Brücke den Fluss Severn überquert hat, ist man schon in Wales. Hier
- und das muss man wissen – ändert sich das Terrain und es wird bergig. Ich
hatte die südliche Variante des Celtic Trail (immer noch NCN 4) ausgewählt,
weil sie küstennäher ist und daher noch ein paar flache Abschnitte bietet. Doch
schon mein erster Tag mit Übernachtung in Caerphilly verlangte einiges an
Schweiß. Aber dann immer wieder schöne, überraschende Weitblicke von den
Höhen. Die kahlen, runden grünen Bergkuppen haben eine eigenartige Wirkung auf
den Betrachter: widersprüchliche Gefühle von Einsamkeit und Verbundenheit mit
der Natur breiten sich aus. Und die vielen Zeugnisse der heroischen
Vergangenheit wie sie die alten Burgruinen verkünden!
Hier, im grünen Wales, wechselt es zwischen
kommoden Eisenbahntrassen, Parkwegen und gnadenlosen Bergnebenstraßen, die dem
Radler nicht eine mildernde Serpentine gönnen.
auf
den Bergen von Wales
Am dritten Tag in Wales
zwischen Port
Talbot über Swansea nach Kidwelly kommt die Erholungsphase: Abschnitte an Küstenbuchten
mit wunderbar hergerichteten Wegen erfrischen Augen und Beine. Und die braucht
man auch, denn die folgenden zwei Tage bringen wiederkehrende Anstiege von
Meeresniveau auf Hügelniveau.
So
war dann der freundliche Empfang auf dem
Campingplatz gestern durch Les und Maggie eine richtige Labsal und
ermunterte mich, heute endlich mal einen Ruhetag einzulegen. Ein Tag, den
ich mit Baden, einer Bootsfahrt zur vorgelagerten Insel Caldey und gemütlichem
Schlendern durch das Touristengewimmel in den kleinen Gassen von Tenby
verbringe.
Abends dann, in der untergehenden Sonne, lädt
mich Les noch zu dem einen oder anderen Bier vor seinem Zelt ein. So sind sie,
die Engländer bzw die Waliser: man muss gar nicht viel tun, um in Kontakt zu
kommen, einfach nur da sein.
Am
nächsten Morgen nehme ich wie Les – allerdings voll beladen –
ebenfalls den Ridgeway in Angriff. Okay, beim steilen Anstieg in Penally muss
ich schieben, aber der Rest des Weges ist sehr schön und bietet eine wunderbare
Aussicht auf die zerklüftete Küste von Pembrokshire.
Dann noch eine lange, sanfte Abfahrt nach
Pembroke und - schwupp - bin ich an der Fähre nach Irland.
Tenby
in Pembrokeshire
Infos:
Anreise: von Hamburg mit der Bahn über
Niebüll nach Esbjerg. Dort die Fähre (18 Uhr bis 12 Uhr am nächsten Tag) nach
Harwich. Die Fähre hat jeden zweiten Tag eine Abfahrt.
Mit dem Fahrrad:
auf dem
National Cycle Network (Nr 51/1/ 61/ 4) nach Pembroke Dock, dort die Fähre nach
Rosslare in Irland( eine Tagesabfahrt und eine Nachtabfahrt. Dauer 4 Stunden)
Mit dem Fahrrad auf Landstraßen nach Kilkenny.
Rückfahrt: mit dem Bus nach Dublin. Von
Dublin mit Air Lingus nach Hamburg zurück. Mehrere Direktflüge in der Woche,
gute Flugzeit. Fahrrad vorher anmelden, aber erst am Flughafen die Gebühr
bezahlen. Dann verpackt aufgeben.
In Dublin kann man sich in Fahrradgeschäften Pappverpackungen besorgen. Es gibt
einen Flughafenzubringerbus, der
im Kofferraum Fahrräder mitnimmt. Oder man bestellt ein Taxi, das Fahrrad und
Verpackung transportieren kann.
Streckenlänge: Die beschriebene Strecke ist
750km lang (in Irland kamen noch einmal 100km dazu).
Übernachtung: Zeltplätze sind außerhalb der
Feriengebiete eher rar. Aber die meisten größeren Countrypubs bieten
Bed&Breakfast an. Und fast jeder Pub hat auch einen Restaurantteil mit
einer Abendkarte. Die Preise für die Übernachtung bewegen sich zwischen 30 und
50 engl. Pfund für eine Einzelperson. Die Essen sind eher preiswerter als in
Deutschland. Touristinformations
helfen – wenn nötig -beim Suchen einer Unterkunft. Vorbuchung ist nicht nötig -
es sei denn, man fährt in einer größeren Gruppe.
Über Sustrans
Nach meiner Reise habe ich Sustrans
kontaktiert und mich beklagt, dass diese diversen Umlaufsperren auf einem
Weitradwanderweg die Weitradwanderer vom Weitradwandern abhalten. Ich kann mir
vorstellen, dass James Burdon, der
Information Officer bei Sustrans, dann nur laut aufstöhnte und die Augen
verdrehte; aber er hat dann trotzdem sehr nett geantwortet. Natürlich kennen
die das Problem („the age-old problem of barriers“), können aber nur immer
wieder versuchen, die örtlichen Entscheidungsträger von sachgerechteren
Lösungen zu überzeugen. Ich durfte dann Fotos schicken, die ich von besonders
krassen Barrieren gemacht habe, die sie dann an
die entsprechenden Sustrans Area
Manager geschickt haben.
Feedback und Nachrichten bitte an :
radreiseblog@gmx.de
radreiseblog@gmx.de
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen