Dienstag, 21. Februar 2012

Allein unter Franzosen


Reisebericht /Sommer 2011
Allein unter Franzosen

Begegnungen




Meine erste Begegnung hat es mir leicht gemacht. Er sprach Deutsch mit mir. Ich hatte auf der Anreise zu meiner Fahrradtour ab La Rochelle einen Tag Stopover in Paris  und bin dann abends zum Essen ins Chartier gegangen, einem bekannten Jugendstilrestaurant, in dem ich vor langer, langer Zeit meine erste Mousse au Chocolat gegessen hatte, bevor man in Deutschland überhaupt wusste, was das war.
Ich war zeitig da und hatte große Auswahl an Tischen und wählte einen, von dem aus ich gut Fotos machen konnte. Aber da hatte ich die ungeschriebenen Gesetze verletzt: ein Kellner kam und komplimentierte mich zu einem Vierertisch, den ich dann als vierter Gast komplett machte.
Da saß ich dann ihm gegenüber: ein alter Mann, Ende 80, gezeichnet von der Spannungslosigkeit des hohen Alters, aber mit wachen Augen. Nach dem ersten Gruß schwiegen wir, kamen dann aber über das Reichen von Wasser und dem Brotkorb in Kontakt. Und er sprach mich auf Deutsch an, denn er war Übersetzer gewesen. Langsam erfuhr ich einiges über ihn und das war durchaus persönlich: er war seit drei Jahren Witwer, lebte in Paris und hatte jetzt eine Freundin in Tours, eine Bahnstunde von Paris entfernt. Seine Freundin schien eine durchaus beeindruckende Persönlichkeit zu sein: als pensionierte Professorin lernte sie noch Chinesisch und Sanskrit. Das Gespräch wurde dann lebhafter, so dass ich ihn zum Schluss noch zu einem Calvados einlud und auf das Leben anstieß.  Da wagte ich mich noch weiter vor und fragte nach seinem Lebensgefühl und er sagte: “ich bin ein glücklicher Mann.“

 
                                      Jean Taburiau alias Obelix  


Meine zweite Begegnung sprach nur Französisch, aber ich war zu dem Zeitpunkt schon drei Wochen im Land und hatte mich eingehört. Er war der Patron  des Gemeindecampingplatzes Avignonet-Lauragais und hatte gerade ein Horde bretonischer Wohnmobilbesitzer begrüßt und stellte sich mir jetzt als Obelix vor: das passte. Er war groß und sehr dick und hatte nackte Arme. Ich war an diesem Tag von jenseits Toulouse kommend 90km am Kanal geradelt - und das in großer Hitze.  Es gab auf dem Zeltplatz keinerlei Versorgung, aber für das Frühstück konnte man Brot bestellen. Ich bestellte zwei Croissants. Obelix konnte nicht verstehen, dass nicht noch ein Baguette dazukommen sollte, bis ich ihm klar machte, dass ich als Radfahrer nichts dabei habe, um es zu belegen und auch Schwierigkeiten hätte, die entsprechenden Zutaten zu kühlen. Da machte er mir den Vorschlag, mich morgens um 7 Uhr vor seinem Mobil Home einzufinden; er würde mich dann mit in den Ort nehmen zum Einkaufen. Und so geschah es: mein Handywecker klingelte um 6.50Uhr und um 7 Uhr ging ich zum Mobil Home, wo er im Nochdunklen  saß und rauchte. Wir stiegen in sein Auto und kehrten 4km weiter in die Bar des Ortes ein für Kaffee und Croissant.  Er war hier bekannt, weil er jeden Morgen zur gleichen Zeit kam und wurde lautstark begrüßt. Auch ich wurde von Barmann Fan-Fan begrüßt, weil ich gestern  aus verschiedenen Gründen hier schon dreimal aufgetaucht war und er und ich uns inzwischen beim Vornamen nannten.  Der Kaffee war sehr gut, der zweite auch! Obelix schaffte es dann, den Barmann zu überreden, noch etwas Schinken für mich einzupacken. Dann schnappte ich mir noch ein Baguette und zurück ging es. 
Hier wäre die Geschichte jetzt normalerweise zu Ende gewesen; aber Obelix fragte mich, ob ich noch etwas Zeit hätte. Als ich bejahte, fuhr er mich auf die dem Örtchen gegenüberliegende Hügelkuppe und präsentierte mir stolz von diesem Aussichtspunkt das Lauragais. Dann ging es weiter ins Land hinein zum nächsten Naherholungsgebiet an einem Stausee und als Höhepunkt in ein angehübschtes Dorf mit einem echten kleinen Wasserschloss.




Wir stiegen aus und er stellte mir die architektonischen Feinheiten des Schlosses vor als hätte er es selber gebaut. Zurück führte er mich auf Umwege und ich erfuhr so nebenbei noch einiges über die Bewohner der diversen Landsitze. Endlich zurück auf dem Campingplatz holte er dann Butter aus seinem Kühlschrank und so konnte ich dann mein knuspriges Baguette mit Butter und Schinken genießen. Bis einer der Bretonen vorbei kam und ihn fragte, ob ich sein Bruder sei, ich sähe ihm ähnlich. Diese Bemerkung konnte ich dann weniger genießen....
















  


Animations





Normalerweise geht es auf den französischen Campingplätzen weniger persönlich zu. In Rochefort war ich auf einem kleinen kommunalen Zeltplatz, der am Rande des Städtchens lag. Er war in seiner Ausstattung einfach, aber sehr sauber und gut geführt. Außerdem gab es einen Gemeinschaftspavillon. Den betrat ich auf der Suche nach einer Steckdose, um mein Handy aufzuladen. Innen residierte ein modischer junger Mann in weißem Hemd und weißer Jeans und etwa längerem Haar, den ich fragte, ob er noch etwas länger hier verweile. Ich war etwas um mein Handy besorgt. Was ich nicht verstand, war, dass er sehr pikiert reagierte und säuerlich antwortete, dass er bis 23.30 Uhr da sei.
Abends dann - als ich mit meiner Flasche gekühlten Rosé vor meinem Zelt lagerte - erschloss es sich mir: er war der angekündigte Künstler, der abends mit seiner Karaoke-Maschine und seiner Stimme die Attraktion des Zeltplatzes war.  So stand er dann da mit seiner Johnny-Hallyday-Figur in enger Jeans, wiegte sich im Beat und sang sich durch das gängige Repertoire.  So eine Zwangsbeschallung macht mich normalerweise etwas ungehalten. Aber man stelle sich vor: die Franzosen hatten Freude und tanzten dazu, der Abend war ausgesprochen südlich lau, meine Lammkoteletts und der Roséwein hatten mich in eine milde Stimmung versetzt, so dass ich es genoss und das südliche Sommerleben pries.



In Le Porge war es weniger gemütlich: ich hatte mich gerade zur Plat du Jour -  Couscous - ins Open-Air-Restaurant des Campingplatzes gesetzt, als mich ein Fotograf mit seiner aufdringlichen Freundlichkeit nervte. 



Beim Nachtisch wurde es dann klar: hier war es echtes Karaoke. Und das ging dann lautstark zur Sache.  Neben seinem Honorar für die Abendunterhaltung verdiente er noch zusätzlich an den Fotos, die er von den „Sängern“ machte. Hier kam dann kein Genuss auf. Die eine Hälfte des Publikums schwenkte die Arme vor Begeisterung, die andere Hälfte wand sich vor Fremdschämen.

In Bazas war es dann niedlicher: vor der Karaoke gab es eine Aufführung der Kleinsten, die von der Animatrice tagsüber vorbereitet worden war. Das war ganz süß, musste aber immer wieder unterbrochen werden, weil die Choreographie dann doch durcheinander kam.


Die Muttis und Vatis mit ihren Kameras vor der Bühne waren davon trotzdem sehr entzückt - ich dagegen eher von der Animatrice. Vielleicht war das der Grund, dass ich das später folgende Karaoke milder gestimmt ertrug.




Quartiersuche





vom Schleusenwärterhäuschen zur Auberge: La Poule à Vélo

Am Garonne-Seitenkanal, aber im Mittelabschnitt mit deutlich weniger schattenspendenden Bäumen, erwischte mich ein sehr heißer Tag. Ich beschloss, in der nächsten größeren Stadt – Agen - einen Zeltplatz aufzusuchen. Aber leider gab es da keinen.  Ich musste also die Gewissheit, dass jede französische Stadt auch einen Zeltplatz hat, aufgeben.
So radelte ich erhitzt weiter und erfuhr von einer Gruppe französischer Radler, die ermattet unter einer Baumgruppe lagerten, dass der einzige Zeltplatz in der Nähe geschlossen sei und man wohl ein Hotel nehmen müsste. Ich beeilte mich, weiterzufahren, denn jedes Anhalten ließ den Schweiß in Sturzbächen von der Stirn rinnen.  Bald traf ich auf ein Schleusenwärterhäuschen, das in eine Auberge konvertiert worden war mit dem sprechenden Namen „ la Poule à vélo“. Hoffnungsvoll fragte ich nach einem Zimmer, mir mit einem Tuch ständig den Schweiß von der Stirn wischend. Leider, leider hatten sie eine außerplanmäßige Schließung für den heutigen Sonntag und leider, leider konnten sie mir auch sonst nicht weiterhelfen. Also fuhr ich weiter und fand schon 2km weiter ein Hinweisschild auf ein Bed-and-Breakfast. Ich fuhr den Pfeilen nach und stand vor einem schönen Haus nahe dem Ufer der Garonne. Aber mein Läuten wurde nicht erhört. Es blieb mir jetzt nichts anderes übrig als die angegebene Telefonnummer anzuwählen - etwas, was ich bisher gescheut hatte wie der Teufel das Weihwasser. Denn auf Französisch zu telefonieren ist sehr schwierig für mich. Die Fragen bekomme ich noch hin, aber die Antworten verstehe ich selten... Nun, es half ja nichts und so wählte ich. Der Mann am anderen Ende der Leitung war sehr nett und wechselte für mich sogar ins Englische, was das Verstehen nicht unbedingt leichter machte.  Er konnte mir zwar kein Zimmer anbieten, aber mir ein neugebautes Hotel ganz in der Nähe empfehlen. Und er ging sogar noch weiter: er fing mich mit seinem Auto an der dritten Brücke ab und fuhr dann vor mir her bis zum Hotel, wo er auch noch das Telefonieren mit der abwesenden Rezeptionistin übernahm. Das war sehr nett; es war uneigennützige Freundlichkeit.




















Im  Office de Tourisme


Interessant ist immer wieder ein Besuch in einem Tourismusbüro. In Le Teich fand ich mich in einem großen, angenehm gekühlten Raum wieder. Ich fragte wie immer nach einem Campingplatzverzeichnis des Departements, eigentlich eine einfache Übung für die Angestellten. Die beiden jungen Damen am Tresen guckten mich ratlos an und erklärten sich dann bereit, einmal die Prospekte durchzusehen. Und tatsächlich – nach ca 5 Minuten – hatten sie ein Verzeichnis gefunden. Das war zwar nur für den  Naturpark der Gascogne – es reichte also nur eine Tagesreise -  aber immerhin. Vielleicht hatten sie zum ersten Mal die Gesamtheit ihrer Prospekte gesichtet.

Noch besser war es in Le Mas-d´Agenais. Im stimmungsvollen, alten Kern des Örtchens befand sich das Tourismusbüro. Ich fragte die nette Dame nach Zeltplätzen nahe dem Kanal. Sie gab zurück, dass der ortseigene wegen eines Musikfestivals leider nicht zu nutzen sei und es in meiner Richtung am Kanal keine mehr gäbe (man muss dazu sagen, dass die Departementsgrenze nahe war und an dieser Grenze hörte ihre Zuständigkeit auf). Ich fuhr frustriert am Kanal weiter und kam da, wo die D234 den Kanal  überquert - läppische 4km später - an eine Anlegestelle für Kanalboote, wo sich auch ein einfacher Terrain de Camping befand. Schade, dass die nette Dame im Office de Tourisme so ahnungslos war! Diese Servicestelle für Boote wurde betreut von dem dortigen Restaurant, das sich am Abend dann als wahrhaft sternwürdig herausstellte! Mal wieder Glück gehabt!





La Flotte – Mon Amour


Am Anfang meiner Reise besuchte ich die Insel Ré -  noch zur Zeit der Hauptsaison, also vor dem 15. August. Die Radwege von La Rochelle dorthin und auf der Insel selbst waren vielversprechend. Erwartungsgemäß war die Insel voll mit urlaubenden Franzosen. Nach einer Stunde Radfahren auf der Insel fing ich an, einen Zeltplatz aufzusuchen. Obwohl man sah, dass ich ein einzelner Radfahrer mit nicht viel Platzbedarf war, deutete man gnadenlos auf das Schild mit der Aufschrift „Complet“. Die anderen drei Plätze, die ich aufsuchte, brachten dasselbe Ergebnis. Nun musste ich wohl oder übel telefonieren (es gibt so ca 60 Campingplätze auf der Insel). Ich überlegte mir Fragen, die nur mit ja oder nein zu beantworten waren. Das ging so leidlich. Auf die Tränendrüse konnte ich mit dem spärlichen Vokabular allerdings nicht drücken. Überall das gleiche Ergebnis. Frustriert machte ich mich wieder auf den Rückweg zur Mautbrücke aufs Festland. In La Flotte kam ich dann  an einem Einfachzeltplatz vorbei, wo ich noch einmal mein Glück versuchte und nachfragte: und da bekam ich ein „Oui“! Okay, mein Platz war nahe dem Klohaus, also nicht gerade kuschelig, aber ich konnte bleiben und am nächsten Tag die Insel erkunden. Und in diesen Ort La Flotte habe ich mich dann am Abend spontan verliebt: die Sonne ging unter mit güldenem Glanz, die Luft war südlich lau. Das Hafenquaree mit seiner Restaurantmeile lud mich zum maritimen Dinieren ein und auch der Wein kam von der Insel.



Und um mich herum Massen von französischen Familien, die auch zum Essen kamen oder nur an der Hafenmeile bummeln wollten. Es herrschte eine entspannte, angenehme Stimmung. Hier war ich allein und doch nicht allein.


Da ich noch eine zweite Nacht blieb, konnte ich das gleiche Programm am nächsten Abend noch einmal genießen. Den Tag zwischen diesen beiden Abenden bin ich dann die Insel abgefahren. Und ich sah, dass auf der Insel eher die schickeren Franzosen Urlaub machen. Aber sie fahren nicht wie auf Sylt mit dem Porsche vor, sondern alle fahren Fahrrad – im Pulk, toute la famille, gut im Gespräch. Als einzelner Radfahrer wird man da gar nicht wahrgenommen ohne vorbeugendes Klingeln.


     
   
 Im Zug

Im Zug von Lyon nach Genf, schon kurz vor der Schweiz, musste ich noch einmal umsteigen, weil nur das vordere Drittel des Zuges nach Genf fuhr. Das ist immer eine spannende Angelegenheit, weil es schnell gehen muss und das Fahrrad mit dem ganzen Gepäck recht sperrig ist. Außerdem gibt es nur wenige Plätze in einem Wagon, wo man sein Fahrrad sicher und mitfahrerverträglich anlehnen kann.
Ich kam also im vorderen Zugteil an, der recht voll war. Es gab dort im Gang Klappsitze, die zum Anlehnen geeignet waren: ein üblicher Platz für Fahrräder.
Auf den Klappsitzen aber saßen bereits Leute. Auf der gegenüberliegenden Sitzbank jedoch waren noch Plätze frei, die nur dadurch blockiert waren, dass dort Koffer auf dem Boden lagen, und zwar nicht aufrecht, sondern sehr raumgreifend „auf dem Bauch“.
Mit meinem spärlichen Französisch schlug ich den Leuten auf den Klappsitzen vor, die Koffer aufzustellen und dann die gegenüberliegenden, freiwerdenden Sitzplätze zu benutzen; dann könnte ich mein Fahrrad gegen die Klappsitze lehnen. Netterweise – es waren Schweizer – wechselten sie für mich ins Deutsche, so dass ich meinen Wunsch noch einmal etwas elaborierter – mit Charme und Bitten - vortragen konnte.
Sie erklärten sich aber für die Koffer nicht zuständig. Die anderen potenziellen Kofferbesitzer – die ja mitgehört hatten – traute ich mich jetzt, zumal auf Französisch, nicht mehr anzusprechen. Also stand ich im Gang und hielt mein Fahrrad während der gesamten Fahrtzeit fest. Später bemerkte ich, dass diese vermeintlichen Franzosen einfach keine Lust gehabt hatten, ihre Koffer zu bewegen und sich nichtverstehend gestellt hatten: es waren Deutsche!
  


                                  ....so könnte es sein!


Feedback und Nachrichten bitte an :
radreiseblog@gmx.de  











Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen